Sei dankbar 

Alles zur Betreutes Fühlen-Folge

Dankbarkeit tut gut. Doch warum ist es so schwer, sie im Alltag zu spüren? Viele gucken immer nur auf das, was sie nicht haben, was nicht läuft. Dabei gibt es oft sehr viel, für das wir dankbar sein sollten. Wie schafft man es, dieses Gefühl zu leben? Warum hat uns die Natur Dankbarkeit geschenkt? Und wann kann sie uns schaden? Klären wir für euch! Wie immer mit Psychologie und Lebensweisheit.

Was ist Dankbarkeit?

Im Alltagsverständnis scheint für viele Menschen intuitiv klar zu sein, was Dankbarkeit ist. Dagegen erweist sich Dankbarkeit aus wissenschaftlicher Perspektive überraschend komplex. In der Psychologie wird Dankbarkeit meistens als Emotion in einer konkreten Situation (State) oder als Persönlichkeitseigenschaft (Trait) betrachtet. [1]

Dr. Dirk Lehr ist Professor für Gesundheitspsychologie an der Leuphana Universität Lüneburg und Experte auf dem Gebiet Dankbarkeit. Gemeinsam mit seinem Team hat er eine Dankbarkeits-App entwickelt und u.a. erforscht, welche Ressource des Wohlbefindens im Dankbar sein steckt.

Leon hat mit Prof. Dr. Dirk Lehr im exklusiven Podcast »Gefragte Gedanken« von WeMynd über Dankbarkeit gesprochen. Werde Teil des Klubs und erhalte Zugriff auf alle Folgen.

Dirk Lehr ist dabei ganz wichtig, Dankbarkeit ist nicht nur ein positives Gefühl. Es besteht aus ganz vielen Komponenten und ist vor allem ein soziales Gefühl. Genauer erklärt die amerikanische Professorin Sara B. Algoe diesen Aspekt der Dankbarkeit in ihrer Find-Remind-Bind Theorie. [2]

Das altruistische Gehirn

Es gibt eine Reihe an Untersuchungen, die Spuren der Dankbarkeit im Gehirn nachgewiesen haben. [3] Insbesondere verschiebt das Training von Dankbarkeit das Belohnungssystem des Gehirns in Richtung Belohnung für andere statt für sich selbst. Die Schlussfolgerung der Forscher:innen: Dankbarkeit ist mit gesteigertem Altruismus verbunden. [4]

Was bringt uns Dankbarkeit?

Die Dankbarkeitsforschung ist ein sehr junges Feld. Die ersten Studien erschienen vor ca. 20 Jahren. [5] Mittlerweile gibt es umfangreiche Forschung, die die Wirkung von Interventionen wie Dankbarkeitstagebüchern  oder -briefen nachweisen und zeigen, dass sich Dankbarkeitstrainings auf das Wohlbefinden auswirken. [6]

Eine schöne Zusammenfassung der aktuellen Forschungslage bietet der Spektrum-Artikel »Sei dankbar!« von Corinna Hartmann.

Extrinische vs. Intrinische Dankbarkeit

Der positive Zusammenhang von Dankbarkeit und Wohlbefinden wirft unweigerlich die Frage nach den zugrundeliegenden Motiven für die Dankbarkeit auf. Zu unterscheiden ist hier eine extrinsisch motivierte Dankbarkeit (z. B. Ich führe eine Dankbarkeitstagebuch, damit es mir bald besser geht) von einer intrinsischen Dankbarkeit (z. B. Ich führe ein Dankbarkeitstagebuch, weil ich überzeugt bin, dass mein Leben voll von unentdeckten guten Dingen ist).

Der Dankbarkeitsforscher Phillip Watkins drückt diesen Unterschied so aus: »Im Kern ist Dankbarkeit eine auf den Anderen fokussierte Emotion und intrinsische Dankbarkeit ist immer auf den/die Geber:in ausgerichtet. Dankbarkeitsinterventionen, die die Beschäftigung mit dem eigenen Selbst fördern, müssen zwangsläufig nach hinten losgehen.«

Außerdem kann es sogar schädlich sein, Dankbarkeit zu verlangen, sagt Dirk Lehr. Das gilt vor allem für Personen, die an psychischen Störungen wie einer Depression leiden.

#blessed – Dankbarkeit ist en vogue

Ein kritischer Zeit-Artikel setzt sich mit unserer aktuellen Dankbarkeitskultur auseinander. Diese setzt auf die Inszenierung von Dankbarkeit ohne Adressat:in. Man bedankt sich nicht direkt bei jemandem, sondern für etwas.

Gibt es Geschlechtsunterschiede?

Untersuchungen deuten auf einen Geschlechtsunterschied hin. [7] Frauen empfinden mehr Dankbarkeit als Männer, die dieses Gefühl kritischer beurteilen und hinsichtlich ihres seelischen und zwischenmenschlichen Wohlbefindens auch weniger davon profitieren.

Wie können wir Dankbarkeit trainieren?

Dankbarkeit lässt sich erlernen. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe an populären Dankbarkeitsübungen wie das Schreiben eines Dankbarkeitstagebuchs. Wir haben für dich einige weniger bekannte Tipps:

Dankbarkeit so leben, wie es zu dir passt

Verbiegt euch nicht! Für schüchterne, introvertierte Menschen passt ein klassisches Dankbarkeitstagebuch oft gut. Wer offen und extrovertiert ist, traut sich vielleicht mehr: Einfach mal einem lieben Menschen ins Gesicht sagen, wofür man ihm dankbar ist. Macht das, was sich für euch gut anfühlt! Persönlichkeitspsychologin Prof. Astrid Schütz spricht von »Personal activity fit«.

Schöne Momente auf Fotos festhalten

Statt dem typischen Dankbarkeits-Tagebuch, versuche einmal schöne Momente mit der Handykamera einzufangen: Die leckere Pasta, die Du dir zum Abendessen gekocht hast, eine überraschende Postkarte von deiner besten Freundin oder der erste Zitronenfalter des Jahres. Mach es dir Sonntagabend mit einer Tasse Tee auf dem Sofa gemütlich und gehe alle Fotos durch, die Du im Laufe der Woche geschossen hast. Das schärft deinen Blick für das Positive und zaubert dir garantiert ein Lächeln ins Gesicht.

Was ist das Wort-Case-Szenario

Nehm euch am Abend ein paar Minuten und überlegt: Was hätte heute alles schiefgehen können, ist stattdessen aber glattgelaufen – vom reibungslosen Weg zur Arbeit bis zum harmonischen Familienabend. Badet einen Moment in der Erleichterung, dass die Katastrophe nicht eingetreten ist.

Die Lebenslinie

Dirk Lehr entlehnt eine klassische Übung aus der Psychotherapie für die Dankbarkeitspraxis. Nimm dir Stift und ein Blatt Papier und male eine Linie von links nach rechts. Das ist dein Lebensstrahl von der Geburt bis Jetzt. Zeichne nun bestimmte Erinnerungen ein, für die Du in deinem Leben dankbar bist.

Ruf jemanden an, dem Du dankbar bist!

Wen würdest Du anrufen? Was würdest Du sagen? Und dann tu es!


QUELLEN

[1] Lehr, D., Freund, H. (2022). Dankbarkeit fördern. In: Frank, R., Flückiger, C. (eds) Therapieziel Wohlbefinden. Psychotherapie: Praxis. Springer, Berlin, Heidelberg. 

[2] Algoe, S. B. (2012). Find, remind, and bind: The functions of gratitude in everyday relationships. Social and Personality Psychology Compass, 6(6), 455-469.

[3] Fox, G. R., Kaplan, J., Damasio, H., & Damasio, A. (2015). Neural correlates of gratitude. Frontiers in psychology, 1491.

[4] Karns, C.M. et al.: The cultivation of pure altruism via gratitude: A functional MRI study of change with gratitude practice. Frontiers in Human Neuroscience 11, 2017.

[5] Emmons, R. A., McCullough, M. E.: Counting blessings versus burdens: Experimental studies of gratitude and subjective well-being. Journal of Personality and Social Psychology 84, 2003.

[6] Dickens, L. R. (2019). Gratitude interventions: meta-analytic support for numerous personal benefits, with caveats. In Positive psychological intervention design and protocols for multi-cultural contexts (pp. 127-147). Springer, Cham.

[7] Kashdan, T. B., Mishra, A., Breen, W. E., & Froh, J. J. (2009). Gender differences in gratitude: Examining appraisals, narratives, the willingness to express emotions, and changes in psychological needs. Journal of personality, 77(3), 691-730.

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