Wie lange willst du leben?

Alles zur Betreutes Fühlen-Folge

Die Unsterblichkeit beschäftigt die Menschen seit Anbeginn der Zeit. Doch erst heute öffnen uns medizinischer und technischer Fortschritt die Tür zum ewigen Leben – zumindest einen Spalt. Wollen wir eine solche Übermenschlichkeit überhaupt? Kann es ein unsterbliches und gleichzeitig gesundes Leben geben? Würden wir uns das für alle wünschen? Was wäre zum Beispiel, wenn Putin für immer da wäre? Wir denken heute das Szenario des ewigen Lebens zu Ende mit Hilfe von Psychologie, Philosophie und unserem Gast Nils Behrens.

Können wir unsere »biologische Uhr« zurückdrehen?

Eine kleine klinische Studie in Kalifornien hat zum ersten Mal gezeigt, dass es möglich sein könnte, die epigenetische Uhr des Körpers, die das biologische Alter eines Menschen misst, umzukehren. [1] Geleitet wurde die Untersuchung an 9 Männern von Gregory "Greg" Fahy. Er ist medizinischer Direktor von Intervene Immune, einem biopharmazeutischen Unternehmen in der Nähe von Los Angeles.

Ziel der Studie war, den Thymus zu regenerieren. Dieses Organ sitzt hinter dem Brustbein und ist für unser Immunsystem zuständig. Zwölf Monate nahmen die Probanden einen Cocktail aus Wachstumshormonen und Diabetes-Medikamenten. In den zwölf Monaten, die das Experiment andauerte gewannen die Männer zweieinhalb Jahre Lebenszeit. 

Aufbauend auf diesen Befunden läuft eine aktuelle Untersuchung mit 85 Proband:innen. Die Behandlung soll im November 2022 abgeschlossen gewesen sein. [2]


Massenhaft Theorien zum ewigen Leben

Aktuell wird in so viele unterschiedliche Richtungen geforscht, um den ewigen Jungbrunnen zu knacken. Da geht es um Bluttransfusionen, Genveränderungen, Pillen, Nanotechnologie, Roboter und Avatare, Einfrieren vom Körper, dem Klonen oder 3D-drucken von Organen. [3]

Eine Reihe dieser Forschung wird von reichen Investor:innen wie Jeff Bezos and Peter Thiel getragen.[4]

Immer wieder orientieren sich Forscher:innen bei der Suche nach ewigem Leben an Tieren, die schon mehr oder weniger unsterblich sind, wie die quallenähnliche Hydra. [5]

Ein schöner Gedanke ist, dass wir bereits Unsterblichkeit erreicht haben, nämlich mit unseren Gedanken. [6]


»Healthspanner« vs. »Immortalists«

Die meisten Wissenschafler:innen, die Langlebigkeit untersuchen, kann man in sog. »Healthspanner« und »Immortalists« unterteilen.

Healthspanners wollen nicht um jeden Preis die Lebensdauer verlängern, sondern erreichen, dass wir Menschen möglichst gesund altern. Das heißt, sie erforschen beispielsweise wie wir Demenzkrankeiten besiegen können.

Immortalists glauben, dass ewiges Leben möglich ist und streben danach. Die Unsterblichkeitsanhänger:innen lassen sich in zwei Lager einteilen. Diejenigen, die man als »Meat Puppets« bezeichnen könnte, glauben, dass wir unsere Biologie umgestalten und in unseren Körpern bleiben können. Die »RoboCops« glauben, dass wir irgendwann mit mechanischen Körpern und/oder mit der Cloud verschmelzen werden. [7]


Wollen wir wirklich ewig leben?

Der Lanserhof hat in einer Appinio-Umfrage 1.000 Menschen in Deutschland genau das gefragt. Die Antworten: Der Wunsch nach ewigem Leben hängt an Bedingungen. So kommt unsterblich sein für viele nur dann in Frage, wenn sie gesund altern können zusammen mit ihren Liebsten und finanziell abgesichert. [8]

Ähnlich skeptisch sahen 5.000 Erwachsene einer UK-Umfrage das ewige Leben. Sechzig Prozent waren dagegen. [4]


Werden wir nicht schon alt genug?

In den letzten 200 Jahren hat sich unsere Lebenserwartung verdoppelt, in manchen Ländern sogar vervierfacht. Ein Kind im Alter von 10 Jahren in 2020 wird im Schnitt 72,69 Jahre alt. [9]

Nicht so rosig: Wir werden älter, sind aber kränker. Generell lässt sich feststellen, dass in Ländern mit höherem Einkommen mehr Jahre mit einer Behinderung oder Krankheitslast verbracht werden als in Ländern mit niedrigerem Einkommen (etwa 10-11 Jahre gegenüber 7-9 Jahren bei niedrigerem Einkommen). In Ländern, in denen die Lebenserwartung am höchsten ist, sind auch die zu erwartenden Lebensjahre mit Behinderung oder Krankheit am längsten.

Das heißt, wir erhalten Menschen bis ins höhere Alter am Leben. Allerdings stellt sich die Frage, wie das Leben dann aussieht, wenn einen vielleicht eine Erkrankung wie Alzheimer ereilt. 


Warum wollen wir ewig leben?

Eine wesentliche Rolle im Streben nach dem ewigen Leben spielt definitiv unsere große Angst vor dem Tod. [10]


Sind wir uns den Konsequenzen eines ewigen Lebens bewusst?

Aktuell können wir nur versuchen, uns vorzustellen, wie Unsterblichkeit aussehen würde.

Wäre ein Leben in Unsterblichkeit nicht irgendwann langweilig? Hierzu gibt es unterschiedliche Meinungen. [11]

Manche malen eine solche Zukunft deutlich schwärzer, als nur mögliche Langeweile, wie der Autor Martin Hägglund.
Hägglund zufolge wäre das ewige Leben schrecklich. Es würde einen sich immer weiter ausdehnenden Strudel der Leere mit sich bringen. Eine klaffende, bodenlose Grube der Bedeutungslosigkeit. Es würde das Ende der Fürsorge bedeuten, das Ende der Hoffnung, das Ende der Wertschätzung, des Feierns, der Anstrengung, der Leistung, des Engagements, der Liebe. Es würde Verzweiflung jenseits der Verzweiflung bedeuten. So schreibt er es zumindest in seinem Buch. [12]

Nicht ganz so drastisch sieht es die Philosophin Susan Schneider. Sie warnt vor allem vor den ethischen Fragen, mit denen wir uns beschäftigen müssen, wenn wir für die Quest der Unsterblichkeit, Menschen mit Technik, koppeln. Ihr ist wichtig, dass klar ist, worauf wir uns einlassen im Streben nach dem ewigen Leben. [5]

Andere wiederum, wie der Onkologe und Bioethiker Ezekiel J. Emanuel, machen deutlich: Ich will nicht unendlich leben. Emanuel ist sogar sehr genau: Er möchte nicht länger als 75 Jahre leben. Begründen tut er dies damit, dass ein langes Leben nicht automatisch ein gesundes ist, dass unsere körperliche und mentale Gesundheit im Alter abnimmt und er den Druck, den er seinen Kindern und Enkeln mit seinem Dasein macht, nehmen will. [13]


QUELLEN

[1] Fahy, G. M., Brooke, R. T., Watson, J. P., Good, Z., Vasanawala, S. S., Maecker, H., ... & Horvath, S. (2019). Reversal of epigenetic aging and immunosenescent trends in humans. Aging cell, 18(6), e13028.

[2] Thymus Regeneration, Immunorestoration, and Insulin Mitigation Extension Trial (TRIIM-X). Clinical Trials. 

[3] McFadden, C. (2018). Will Humans Ever Be Immortal? These 11 Theories and Technologies Will Shed Some Light on It. Interesting Engineering. 

[4] Waite, H., & Spencer, N. (2022). The promise of scientific immortality: who wants to live forever? Science & Religion: Reframing the conversation.

Eunjung Cha, A. (2015). Peter Thiel’s quest to find the key to eternal life. The Washington Post. 

Eordogh, F. (2013). Russian Billionaire Dmitry Itskov Plans on Becoming Immortal by 2045. Vice.   

[5] Pester, P. (2021). Will humans ever be immortal? Live Science. 

[6] Memory in immortality. (2022). Psychneuro. 

[7] Friend, T. (2017). Silicon Valley’s Quest to Live Forever. The New Yorker.

[8] Ewiges Leben. (2022). Lansehof. 

[9] Max Roser, Esteban Ortiz-Ospina and Hannah Ritchie (2013) - "Life Expectancy". Published online at OurWorldInData.org. 

[10] Brooks, A. C. (2019). ‘Transhumanist’ eternal life? No thanks, I’d rather learn not to fear death. The Washington Post. 

[11] Fortuna, W. H. (2022). What would life look like if we lived forever? QUARTZ.

[12] Zuckerman, P. (2019). Want Eternal Life? Are You Sure? Psychology Today.  

[13] Emanuel, E. J. (2014). Why I hope to die at 75. The Atlantic.  

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