Ein grausames Experiment -

mit MORD AUF EX

Alles zur Betreutes Fühlen-Folge

Heute geht’s um das vielleicht berühmteste Experiment der Psychologie-Geschichte – das Stanford Prison Experiment. Angeblich zeigt es, dass in uns alle das Böse steckt. Es braucht nur die richtigen Umstände, um es zu wecken. Stimmt das wirklich? Das wollen Atze und Leon rausfinden. Dazu haben sie sich Verstärkung geholt. Mit Leonie Bartsch und Linn Schütze vom True Crime Podcast »Mord auf Ex« entschlüsseln sie das Geheimnis hinter dem Gefängnis-Experiment.


Das Stanford Prison Experiment – eines der berühmtesten Psychologie-Experimente

Das 1971 vom amerikanischen Psychologie-Professor Philip Zimbardo durchgeführte Stanford Prison Experiment gilt allgemein als eines der berühmtesten Experimente der Psychologie. [1] Es wurde in Dokumentarfilmen, Fernsehberichten und Zeitungsartikeln aufgegriffen und in dutzenden Handbüchern über Psychologie, Soziologie, Philosophie, Kriminologie, Strafrecht und Methodik zusammengefasst. In der Literatur über Völkermord, das Böse und Aggression wird häufig darauf verwiesen. [2]

Es gibt sogar eine komplette Website zu dem Experiment.

Worum ging es in dem Versuch?

Kurz zusammengefasst: Um zu zeigen, dass sich normale Menschen auch ohne den äußeren Druck einer Versuchsautorität auf pathologische Weise verhalten können, haben Zimbardo und Kolleg:innen Studierende in ein simuliertes Gefängnis im Keller der Stanford Uni gebracht und die Macht von Rollen, Regeln und Erwartungen beobachtet.

Durchschnittliche junge Männer wurden ausgewählt und erhielten zufällig die Rolle des Gefangenen oder des Wärters. Sie wurden instruiert, sich über den Lauf des Experiments entsprechend ihrer Rolle zu verhalten.
Schon kurz nach Beginn des Experiments wurden die Männer feindselig und sadistisch, indem sie Andere verbal und körperlich misshandelten – wenn sie die zufällig zugewiesene Rolle des allmächtigen Scheinwärters spielten.
Diejenigen, die nach dem Zufallsprinzip als Scheingefangene eingeteilt wurden, erlitten emotionale Zusammenbrüche und verhielten sich selbstzerstörerisch.

Die geplante zweiwöchige Gefängnissimulation musste nach 6 Tagen abgebrochen werden, weil die Unmenschlichkeit der »bösen Situation« die Menschlichkeit der »guten« Teilnehmer völlig überlagert hatte. [3]

Hintergrund der Studie war, dass Zimbardo und sein Team herausfinden wollten, ob die berichtete Brutalität von Wärter:innen in amerikanischen Gefängnissen auf eine sadistische Persönlichkeit zurückzuführen ist (= dispositionell) oder eher mit der Gefängnisumgebung zusammenhängt (= situativ).

Laut Zimbardo und Kolleg:innen hat das Stanford Prison Experiment gezeigt, dass sich Menschen bereitwillig den sozialen Rollen anpassen, die von ihnen erwartet werden, insbesondere wenn diese Rollen so stark stereotypisiert sind wie die der Gefängniswärter.

Die Ergebnisse sprechen eher für eine situative als für eine dispositionelle Erklärung des Verhaltens. Überspitzt formuliert: Jede:r kann »böse« werden, wenn er oder sie einer entsprechenden Situation ausgesetzt ist. Wie die Versuchspersonen als Scheinwärter in Zimbardos Experiment.

Zimbardos gesamte Karriere baut auf dem Stanford Prison Experiment auf. 2007, über 30 Jahre nach dem Versuch, schreibt er das Buch »The Lucifer Effect: Understanding How Good People Turn Evil« und gibt Talks dazu.
Dass die Befunde des Stanford Prison Experiment auch reale Relevanz haben, zeigt der Abu-Ghuraib-Folterskandal. Während der Besetzung des Irak durch die USA in den frühen 2000ern wurden irakische Insassen des Abu-Ghuraib-Gefängnisses vom Wachpersonal misshandelt, vergewaltigt und gefoltert. [4]


Kritik am Stanford Prison Experiment

Der Versuch wurde in seiner ursprünglichen Weise nie wiederholt. Annähernd wurde das Experiment in der BBC Prison Study nachgestellt. Es war eine 2002 produzierte Serie die von den beiden Psychologen Alex Haslam und Stephen Reicher begleitet wurde. [2]

Die Ergebnisse des ursprünglichen Stanford Prison Experiments konnten nicht belegt werden. Nach Ansicht der Alex Haslam und Stephen Reicher ist ein entscheidender Faktor, der Menschen dazu bringt, Gräueltaten zu begehen, eine Führungsperson, die ihnen versichert, dass sie im Dienste einer höheren moralischen Sache handeln – zum Beispiel wissenschaftlicher Fortschritt oder Gefängnisreform.

Das heißt, sie sagen, dass Zimbardo die Versuchspersonen dazu instruiert hätte, ihre dominante Rolle als grausamer Wärter anzunehmen und durchzuführen. Zimbardo wehrt sich gegen diese Kritik, indem er erklärt, dass eine solche »Reality-Show« keineswegs sein Experiment nachstellen könne. [5]

Weitere Kritik am Stanford Prison Experiment sagt, dass der Versuch wissenschaftlichen Standards nicht genüge. [2] Vor allem durch Zugriff auf die Archivunterlagen der Stanford University Libraries konnte besser nachvollzogen werden, wie das Experiment abgelaufen ist und dass es starke methodische Mängel hat. Zum Beispiel wurde die Studie nicht verblindet durchgeführt – das heißt jede Versuchsperson kannte ihre Rolle und wusste was zu tun war.
Mehr noch: Die Probanden mit der Rolle der Gefängniswärter wurden am sogenannten »Orientation Day« trainiert und instruiert, wie sie sich zu verhalten hatten. Sie wussten also, was das Ziel der Studie war und wie sie zum Erfolg des Experiments beitragen konnten.
Auch soll den Versuchspersonen nicht klar gewesen sein, dass sie überhaupt Versuchspersonen waren. Ihnen wurde vermittelt sie seien Forschungsassistenten. [2]
Außerdem gibt es Vorwürfe, dass die Versuchspersonen nicht zufällig ausgewählt wurden, da Werbung zum Experiment mit den Worten »psychological study of prison life« bereits Menschen anziehen könnte, die sich für eine solche Untersuchung interessierten. Ob das stimmt kann jedoch nicht herausgefunden werden, da die Persönlichkeit der Probanden nie gemessen wurde – ein großer Fehler, der die gesamten Ergebnisse der Studie in Frage stellt. [2]

Neben den methodischen Mängeln kann man Zimbardo auch vorwerfen, dass die Versuchspersonen mit der Rolle der Gefangenen das Experiment nicht einfach abbrechen konnten – außer im medizinischen oder psychiatrischen Notfall. Sollte das stimmen, wäre das ein extremer Verstoß gegen Ethikrichtlinien, denen heute jede Studie unterliegt. [6]

QUELLEN

[1]  Haney, C., Banks, C., & Zimbardo, P. (1973). Interpersonal dynamics in a simulated prison. The Sociology of Corrections (New York: Wiley, 1977), 65-92.

[2] Blum, B. (2018). The Lifespan of a Lie. Medium. 

Le Texier, Thibault (2019). Debunking the Stanford Prison Experiment.. American Psychologist, 74(7), 823–839.

[3] Zimbardo, P. (1983). To control a mind. Stanford Magazine, 11, 59 – 64.

[4] Kinderman, P. Abu Ghraib: The real Stanford Prison Experiment. Psych Liverpool.

[5] Philip Zimbardo’s response to recent criticisms of the Stanford Prison Experiment. prisonexp.org.

[6] Ethisches Handeln in der psychologischen Forschung: Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Psychologie für Forschende und Ethikkommissionen. Deutsche

Gesellschaft für Psychologie (DGPs) (Hrsg.). Hogrefe 2018.

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